Malerei

Im umfangreichen Werk von Angelika Hentschel lassen sich natürliche Strukturen nachspüren, überlagern sich Schichten und verändern die Wahrnehmung des Betrachters über den nicht fassbaren und nicht direkt abgebildeten natürlichen Gegenstand. Natürlichkeit wird in ihren Bildern in extrem reduzierte Form gefasst, oft bleiben nur geahnte Fragmente, die auf den Zeitenfluss verweisen. Die Nähe zur Zeichnung ist deutlich und wird gekonnt eingesetzt. Linie und Fläche sind und bleiben in allen Arbeiten ein wichtiges Stilmittel.

Abstraktionen, welche die Natur nicht mehr abbilden, sondern das „Modell“ Natur auf ihr Wesentliches reduzieren. Dergleichen gestaltete und fragmentierte Natur rührt zwar kollektive Erinnerung an, schafft aber immer Unikate, weil Bildinhalt, Technik und Form unabdinglich auf eine Natur, die sich im Fluss, im Werden und Vergehen befindet, verweist und beim Betrachter Assoziationen weckt, hinter welche die Künstlerin zurücktritt. Es sind Bilderfindungen, die für den Gebrauch und für die Weiterentwicklung des Betrachters stehen. Angelika Hentschel baut – wie sie selbst sagt – auf Vorhandenes auf und spielt damit.

Entscheidend ist folgende Aussage von ihr: „Ein Wegstück weiter wäre, könnte ich im Bild als Persönlichkeit zurücktreten, damit etwas Selbständiges und in sich Stimmiges mit einer eigenen Qualität entsteht, das sich der Deutung des Malers entzieht. Wo es nicht darum geht, Persönliches auszudrücken, vielmehr jeder Betrachter seine eigenen Geschichten mit den Bildern beginnen kann.“

Sind die Acrylbilder von Angelika Hentschel Erfindungen aus der Natur, zeigen anderen Arbeiten Entdeckungen und Experimente, sind Beispiele aus dem Labor einer forschenden Künstlerin, die damit zu einer ganz neuen Positionierung drängt.

Angelika Hentschel verweigert sich jedweder Botschaft, die in den Arbeiten stecken soll, bestenfalls wäre es Angelegenheit des Betrachters, eine solche Botschaft zu suchen. Sie stellt den Prozess der Gewahrwerdung, wiederum den Zeitenfluss mit ihrer Kunst zur Verfügung. Sie sagt: „Vieles meiner Arbeit besteht aus Experimenten, die im Atelier bleiben oder sich dort entwickeln ....es sind Bilder, die wir erinnern, aber nicht festhalten können. Fragmente unserer Existenz, Bruchstücke einer Erinnerung, von der wir annehmen, es sei unsere. Meine Arbeiten reflektieren diesen Prozess.“ –

Der Prozess also ist das Entscheidende gegenüber dem Endprodukt und eine wichtige Rolle kommt, neben virtuosem und ausgereiftem malerischen Können, dem  Zufall zu. Dieses Zufällige entsteht wie in der Natur selbst in den Umwelten der Flora, die nun aber die Künstlerin verändert.

Sammeln, Ordnen und Bewahren sind die Kerntätigkeiten für die Arbeiten dieser Werkgruppen. Das sind auch die Grundaufgaben eines Archivs und Angelika Hentschels Naturarbeiten ergeben denn auch eine spezifische Sammlung des natürlichen Prozesses von Werden und Vergehen, in den sie künstlerisch eingreift. Panta rhei – alles fließt. Es ist eine Kunst des Erntens und Experimentierens. Natur wird gefasst, es ist verpackte Natur, zum Teil in Papier oder noch extremer in Wachs. Und dieses verpackte Naturmaterial überwindet die Malerei. Gerade in ihren Wachsarbeiten wird dies sehr drastisch deutlich. Die in Wachs gefasste Natur verbirgt die dahinter gemalten Flächen und Bilder, lässt diese bestenfalls noch vorscheinen oder erahnen.

In den Papiergärten – einer Installation aus 120 Einzelpapieren mit Blüten- und Fruchtständen des Neckartals - erstellt in mehreren Jahren, werden Naturfragmente in Seidenpapier eingearbeitet, so dass sich fast Erinnerungen an Darstellungen der japanischen Kunst einstellen. Ausschließlich das sich verändernde pflanzliche Objekt bestimmt die  einzelne Arbeit. Ein Kahn aus feinem Papier, zeigt die Zerbrechlichkeit des Zueinanders von Natur und Wasserumgebung - ein altes religiöses Symbol sowie des Fortbewegens über die Weltenmeere oder auf Bächen und Flussläufen innerer Landschaften – die poetische Beschäftigung mit dem Fluss des Lebens in Malerei und Wort gehen Hand in Hand.

In den Texten der Künstlerin kommt dieser Bezug von Zeit und Fluss zum Ausdruck – es sind Einlassungen auf Wasser und Natur, Zwischenschichten werden berührt. Assoziationen zu Sekunden, Tagen, zur Morgenröte, zur Nacht oder direkt zum Wasser, dem Fluss, der zum Meer drängt, zu fort schwimmenden Fischen – lauter Verluste, die jedoch im Zeitenlauf wiederkehren, die Welt verändern für jeden Moment – wie es im Text „Sekunde“ heißt „eine Sekunde Verstehen sei schon vorüber, bevor sie beginnt“.


Das Vorgehen Angelika Hentschel zur künstlerischen Erforschung der Natur und des durchaus realen, an Wasser und Flusslauf orientierten Zeitenflusses erinnert ein wenig an Alchimie, allerdings ist sie nicht auf der Suche nach Gold, sondern vielleicht nach der paradiesischen Quintessenz der Natur, die sich jedoch als widerständig erweist, sich selbst entwickelt und gebärdet und von der Künstlerin bearbeitet, ja verpackt und damit in Schranken gewiesen wird. Doch es wächst weiter – an den Ufern, im Garten, in den Gärten der Angelika Hentschel und in Ihren Assoziationen, die sie zu einer reichhaltigen künstlerischen Welt entwickelt.

(Zitate aus der Einführungsrede Peter Kastner, Kulturreferent der Stadt Esslingen bis 2013 zur Ausstellung „Flusswärts“, 2009, Kulturfest „Stadt im Fluss“, Galerie 13, Esslingen)

In den Jahren nach 2014 kommt es zur zeitweiligen Stagnation des malerischen Prozesses, einer Phase der Umorientierung.
Im aktuellen bildnerischen Werke befasst sich die Künstlerin weiterhin mit dem Fluss der Zeit, dem natürlichen Kreislauf und erweitert den Blick auf die Geschichte und Geschicke der Herkunft im weitesten Sinne. Bilder, Zeichnungen und Collagen zeigen eine künstlerische Hinwendung zur Figur und einer teils dadaistisch surrealistischen Sicht auf nicht direkt benennbare, vielleicht fühlbare Dinge, Situationen und Konstellationen. Panta rhei – alles fließt………………..